Wiederverwenden statt verschwenden muss das neue Normal werden

19.09.2022

Der Bausektor ist einer der materialintensivsten und klimaschädlichsten Wirtschaftsbereiche überhaupt. Die Frage, wie sich wertvolle Ressourcen schonen und die CO2 Emissionen senken lassen, ist angesichts von Klimawandel und Energiekrise aktueller und wichtiger denn je. Das Forschungsprojekt „WieBauin“ bietet mit dem „Bauteilkreisel Region Darmstadt-Dieburg“, innovative Lösungsansätze. Diese und weitere Ansätze wurden vor Kurzem auf einer Konferenz in Münster (Hessen) mit über 60 Teilnehmenden vorgestellt und diskutiert.

Wachsende Ballungsräume und boomende Städte – wie vielerorts im Rhein-Main-Gebiet – sind extrem energie- und ressourcenhungrig. Die dafür benötigten Rohstoffe, beispielsweise Sand für die Betonherstellung, werden meist in ländlichen Regionen gewonnen, die unter den Umweltauswirkungen zu leiden haben. Gleichzeitig ist der Bausektor für rund 55 Prozent des gesamten deutschen Abfallaufkommens verantwortlich. Zumal vieles, was auf dem Müll landet, eigentlich an anderer Stelle noch genutzt werden könnte. Auch der CO2 Fußabdruck ist riesig: Etwa 14 Prozent der gesamten deutschen Emissionen des Treibhausgases gehen nach Angaben der Bundesregierung auf den Gebäudesektor zurück. Höchste Zeit also, angesichts von Klimawandel und Energiekrise etwas zu ändern.

In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojekt Wiederverwendung von Baumaterialien innovativ, kurz WieBauin, werden bereits seit mehreren Jahren neue Herangehensweisen entwickelt, um das Stoffstromsystem zwischen Stadt und Land zu verbessern sowie den Bausektor nachhaltiger zu gestalten. Die Wiederverwendung von Baumaterialien bietet viele Vorteile: Sie spart die für die Neuproduktion benötigte Energie, reduziert die CO2 Emissionen, schont die natürlichen Rohstoffressourcen und verringert Bauabfälle. Aus dieser Idee ist der „Bauteilkreisel Region Darmstadt-Dieburg“ entstanden, eine Online-Plattform für die Wiederverwendung von Baumaterialien, die seit Ende 2021 viele Vorteile unter einem Dach vereint. So können Bürgerinnen und Bürger beispielsweise gebrauchte Bauteile und andere Baumaterialien auf einem Marktplatz handeln oder sich mit dem Materialertragsrechner über das eigene CO2 Einsparpotential, erzielbare Verkaufspreise sowie potenzielle Schadstoffbelastungen Ihrer Bauteile informieren.

„Parship“ für gebrauchte Baumaterialien

Bei der ersten Konferenz zur innovativen Wiederverwendung von Baumaterialien am 8. September in der Kulturhalle Münster (Hessen) kamen über 60 Fachleute und Interessierte zusammen, um dieses Zukunftsthema zu diskutieren. Als Projektpartner aus Landkreis und Kommunen betonten der erste Kreisbeigeordnete Lutz Köhler sowie die beiden Bürgermeister von Münster und Otzberg, Joachim Schledt und Matthias Weber, das große Potenzial der Bauteil-Wiederverwendung. Zur Einführung stellte der Leiter des Forschungsprojektes WieBauin, Prof. Dr. Hans-Joachim Linke von der Technischen Universität Darmstadt, den Bauteilkreisel näher vor, den er als „Parship für gebrauchte Baumaterialien“ beschrieb. Die Plattform ist seit Oktober letzten Jahres online und kann von allen Interessierten genutzt werden, die nicht mehr benötigte Bauteile abzugeben haben oder welche suchen. Das Konzept wird stetig erweitert, bald unter anderem auch mit vielen anschaulichen Best Practice Beispielen zur Inspiration.

Es folgte ein Vortrag zum Thema „Kreisläufe schließen – Hochwertiger Wiedereinsatz von Baumaterial“ der Architektin Ute Dechantsreiter aus Bremen vom Bundesverband bauteilnetz Deutschland e. V.. Sie ist die Gründerin der ersten Bauteilbörse in Deutschland überhaupt und konnte aus einem reichen Erfahrungsschatz berichten. Anschließend referierte der Architekt Dr. Martin Zeumer von der ee concept GmbH über „Gebäudebezogene Umweltwirkungen: Die Rolle der Wiederverwendung von Bauteilen“. Auch er betonte: „Wir können nur bestehen, wenn wir Überzeugungstäter sind.“ Gerade Architekt*innen sollten Ausschreibungen nutzen, um Recycling zu unterstützen. Er zeigte auf, wie man den Lebenszyklus eines Bauteils und eines Gebäudes optimieren kann.

Erfahrungen aus der Nutzer-Perspektive

Einen Erfahrungsbericht aus der Praxis der Wiederverwendung lieferte Bernfried Kleinsorge zum Thema „Wiederverwendung von Baustoffen und Bauteilen: Möglichkeiten und Erfahrungen – Probleme und Lösungen“. Er schilderte aus der Nutzer-Perspektive von den Schwierigkeiten und Hindernissen, auf die er im Laufe der Jahre bei der Sanierung zweier Hofreiten unter Wiederverwendung der unterschiedlichsten Baustoffe und Bauteile gestoßen ist und zeigte Lösungen auf.

Anschließend erklärte der Mitgründer der restado GmbH sowie der Concular GmbH, Julius Schäufele, in seinem gleichnamigen Vortrag, „Wie wir Zirkularität im Gebäudesektor erreichen“. Er betonte, Materialien sollten im Kreislauf gehalten und idealerweise kein Abfall mehr produziert werden. Mit der Concular-Software kann dieser Kreislauf organisiert werden. In Materialpässen werden Gebäude digitalisiert und Angebot und Nachfrage so automatisiert und frühzeitig zusammengebracht. Zum Abschluss der Veranstaltung gab es eine lebhafte Podiumsdiskussion. Dabei wurde auch die Idee eines Runden Tisches der Bauteilwiederverwendung angeregt, an dem sich alle Interessenten – von Fachleuten bis hin zu Bürger*innen – beteiligen können. Denn bis das Motto „Wiederverwenden statt verschwenden“ Einzug in unseren Alltag erhalten hat und zum „neuen Normal“ geworden ist, ist noch viel zu tun. Dabei wird jede Menge Unterstützung gebraucht.

Infos und Kontakt

Wer Interesse an dem Runden Tisch hat, kann sich bei Projektkoordinator Raphael Bretscher (kontakt@wiebauin.de) melden. Der Bauteilkreisel Darmstadt-Dieburg sowie alle Infos rund um das Projekt sind unter www.bauteilkreisel-dadi.de zu finden.