„Wohnraum ist vorhanden, allerdings ungünstig verteilt“

Professor Hans Joachim Linke über steigende Mietpreise in Südhessen und schwarze Schafe unter Vermietern – Ein Beitrag im Darmstädter Echo

19.08.2020

In kaum einem europäischen Land wohnen so viele Menschen zur Miete wie in Deutschland. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Deloitte von November 2019 leben 54 Prozent der Deutschen in fremden vier Wänden. Das Mieten wird zudem seit Jahren immer teurer – auch in Südhessen. Mit dieser Zeitung spricht Hans Joachim Linke, Professor für Landmanagement sowie Raum- und Infrastrukturplanung an der Technischen Universität (TU) Darmstadt, über die Entwicklung des Mietkostenanteils und wie ein Konzept gegen steigende Preise aussehen könnte.

Herr Linke, ist Wohnen in Südhessen inzwischen ein Luxusgut?

Nicht unbedingt. Die Nachfrage in Südhessen ist, wie in vielen anderen Regionen Deutschlands, deutlich größer als das Angebot. Als Zuzugsregion ist der Wohnraum hier sehr gefragt. Dieser ist auch vorhanden, allerdings ungünstig verteilt.

Was meinen Sie damit genau?

Menschen, die beispielsweise im Alter gerne in eine kleinere Wohnung ziehen würden, tun das oft nicht, weil sich der Wechsel wirtschaftlich nicht lohnt. Die Neuvermietungspreise sind häufig deutlich höher als die der älteren, größeren Wohnungen. Außerdem bleibt die Frage, ob es denn notwendig ist, dass so viele Menschen zukünftig in Darmstadt und Frankfurt wohnen. Eine bessere Verteilung kann nur dann erreicht werden, wenn sich Personen auch für den ländlichen Raum mit guter Anbindung entscheiden.

Vor allem in Großstädten arbeiten viele Menschen nur noch für die Miete – stimmt das?

Ja und nein. Das würde ja bedeuten, dass 70 bis 80 Prozent des Einkommens für die Miete benötigt würden. Problematisch wird es, wenn Personen auf der Suche nach neuen Wohnungen nicht das bekommen, was sie sich vorstellen. Die Mietpreise sind hoch, unsere Ansprüche allerdings auch. Diese müssen im Zweifel zurückgeschraubt werden. Erste Ansätze gibt es bereits. Wohngemeinschaften beschränken sich inzwischen nicht mehr nur noch auf Studenten, sondern auch Arbeitnehmer suchen dort Raum zum Leben.

Was ist Ihrer Ansicht nach ein vertretbarer Mietkostenanteil am Haushaltseinkommen?

Da gibt es verschiedene Ansätze. Häufig wird eine Obergrenze von 30 Prozent des Haushalts-Nettoeinkommens genannt. Familien mit einem Nettoeinkommen von 1500 Euro können sich bei diesem Satz allerdings am freien Mietmarkt keine Wohnung in Darmstadt oder Frankfurt leisten. Für diese Bevölkerungsgruppe fehlt der Wohnraum. Insbesondere durch das Ende der Sozialwohnungsbindung der in den sechziger bis achtziger Jahren geförderten Wohnungen gingen viele preisgünstige Wohnungen verloren. Hier hat es die öffentliche Hand über viele Jahre versäumt, neue Wohnungen zu schaffen. Preisgünstiger Wohnraum geht nur über staatliche Förderung.

Wie hat sich dieser Prozentwert in den vergangenen Jahren verändert?

Die Mietpreise sind vor allen in den Großstädten und Ballungsräumen deutlich stärker angestiegen, als die entsprechenden Einkommensverhältnisse. Bei neu zu vermietenden Objekten ist das inzwischen weit weg von dem, was sich ein normaler Verdiener tatsächlich leisten kann. Diese müssen auf eine stadtzentrale Lage verzichten und sich eher in der Umgebung umschauen, die vielleicht noch nicht so attraktiv ist.

Welche Gründe hat der Anstieg?

Das liegt hauptsächlich an Angebot und Nachfrage. Letzteres wird auch darüber bestimmt, welche wirtschaftliche Möglichkeiten die Menschen haben. Es gibt durchaus Bevölkerungsgruppen, die bereit sind, Kaltmieten von 15 bis 20 Euro pro Quadratmeter zu zahlen. In Darmstadt wächst der Druck auf den Mietmarkt aktuell unter anderem durch den Zuzug vieler Studenten. Die Zahl der Studierenden hat sich in den letzten 20 Jahren um mehr als 50 Prozent auf rund 40 000 Studierende erhöht. Da die Plätze in Studentenwohnheimen nicht entsprechend angestiegen sind, steigt die Nachfrage der Studierenden am freien Mietmarkt. Da dort, das Angebot nicht entsprechend erhöht wurde, steigen auch dadurch die Mietpreise.

Wie kann dem Druck standgehalten werden?

Potenzial für Neubauten gibt es in Darmstadt vor allem im Bereich ehemaliger Kasernenflächen, zum Beispiel im Ludwigshöhviertel. Wenn diese Möglichkeiten allerdings ausgeschöpft sind, wird es schwierig, weitere Neubauten zu realisieren. Dann hilft nur noch eine Kooperation mit Umlandgemeinden, um sicherzustellen, dass weiterhin mehr Wohnraum mit guter ÖPNV-Anbindung geschaffen wird.

Gibt es in Südhessen regionale Unterschiede bei den Preisen?

Natürlich. Im Odenwald können die Menschen zu anderen Preisen mieten, als in der Metropolregion. Die Anbindungen dort sind teilweise allerdings so ungünstig, dass es für die Betreffenden kaum möglich ist, sich dort niederzulassen, wenn sich der Arbeitsplatz in Darmstadt befindet. Grund zur Hoffnung macht die Odenwaldbahn. Mit dieser können die Menschen in gut einer Stunde nach Darmstadt fahren. Dadurch bekommen auch diese Regionen einen Aufschwung.

Wie kann ein Konzept gegen die Preisspirale aussehen?

Es muss mehr Wohnraum geschaffen werden, damit die Preise nicht mehr so stark ansteigen. Auch für Menschen, die nicht so einkommensstark sind. Daran arbeiten der Bauverein in Darmstadt und die ABG Frankfurt zurzeit. Der Ansatz von Tarek al-Wazir (Hessischer Wirtschaftsminister, d. Red.) mit dem „Großen Frankfurter Bogen“ ist grundsätzlich richtig. Allerdings müssen die Infrastrukturen des ÖPNV weiter verbessert werden. Heißt: Schnellere Verbindungen mit Bus und Bahn, um einen Anreiz zu schaffen, auch in ländlichen Gebieten zu wohnen.

2015 führte die Bundesregierung die Mietpreisbremse ein. Diese gilt unter anderem für Darmstadt, Dreieich und Mörfelden-Walldorf. Greift diese eigentlich noch?

Ja. Die Vermieter können bei der Wiedervermietung einer Wohnung eine Miete fordern, die maximal zehn Prozent höher als die ortsübliche Vergleichsmiete ist. Dass „schwarze Schafe“ unter den Vermietern durch illegale Tricks versuchen, eine höhere Miete zu erzielen, wird sich nie vermeiden lassen.

Inwiefern beeinflusst die Corona-Krise die Preisentwicklung?

Schwierig zu sagen. Dafür ist die Corona-Krise noch zu jung. Was ich mir sehr gut vorstellen kann, ist, dass die Aktivitäten im Wohnraumwechsel zurückgehen werden. Umzugsunternehmen werden wohl darunter leiden. Baumaßnahmen waren bisher kaum von der Krise beeinträchtigt.

Was erwarten Sie für die kommenden Jahre? Steigen die Mieten weiter an?

In der Region Frankfurt/Rhein-Main rechne ich fest damit. Solange MenZeitaufwands zum Planen und Bauen neuer Wohnungen gar nicht so schnell wachsen. Wie stark die Zahlen nach oben gehen, hängt maßgeblich damit zusammen, wie sich die Nachfrage entwickelt und wie viel neuen Wohnraum die öffentliche Hand schaffen kann.

Das Interview führte Eric Hartmann/ Darmstädter Echo

Lesen Sie den gesamten Artikel im Darmstädter Echo vom 18.8.2020